EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Herr Dr. Thiele, Sie haben im September 1973 als Lektor für Mathematik im Teubner-Verlag in Leipzig begonnen …

 R. Thiele:   Vorher war ich an der Universität Halle, als Schüler von Professor Rolf Klötzler, und er hat letztlich auch den Kontakt zum BSB (Betrieb mit staatlicher Beteiligung) B. G. Teubner Verlagsgesellschaft vermittelt. Für mich war die Verlagsarbeit in der Leipziger Goldschmidtstraße 28 natürlich neu, aber sie hat mir zunehmend gefallen. Plötzlich konnte ich das Publizieren wissenschaftlicher Texte quasi „von der anderen Seite“ beobachten und mitgestalten.


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Im Jahre 1976 erschienen die ersten Bände im Rahmen der von Ihnen ins Leben gerufenen Reihe „TEUBNER-TEXTE zur Mathematik“, und zwar im Offsetdruck.

 R. Thiele:   Bei Teubner in Leipzig gab es nur den traditionellen Bleisatz. Die Herstellzeiten der Bücher wurden dabei nicht in Tagen oder Wochen gemessen, sondern in halben oder ganzen Jahren. Es existierte zwar seit 1974 die „Schriftenreihe Informationsverarbeitung“, die ebenfalls das Offsetverfahren nutzte, doch dort lieferten die Autoren traditionelle Manuskripte, und der Verlag ließ dann auf seiner einzigen (IBM-) Kugelkopfmaschine die reproduktionsreife Druckvorlage erstellen. Ein Zeitgewinn war damit aber keineswegs verbunden. Bei den Teubner-Texten erstellte nun plötzlich der Autor selbst die fertige Druckvorlage, so dass der Verlag viele Monate einsparte, von Satzkosten und Schreibkosten ganz zu schweigen. Angeregt worden bin ich hierzu übrigens durch die Idee von Felix Klein (1849-1925), Vorlesungsmitschriften im Steindruckverfahren zu vervielfältigen und von B. G. Teubner vertreiben zu lassen - und natürlich von Springers Lecture Notes.


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Wurde das in den siebziger Jahren auch gleich so von der Verlagsleitung in  Leipzig akzeptiert?

 R. Thiele:   Keineswegs. Die erste Frage war, ob es sich bei diesen Manuskripten überhaupt um Bücher, um verkaufsfähige Bücher handelt. Solch eine Grundsatzfrage musste natürlich amtlich beantwortet werden. Folglich habe ich mich im Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung (ASMW) in Halle angemeldet, in der Köthener Straße.


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Mit welchem Ergebnis?

 R. Thiele:   Mit positivem, und das auch noch in relativ kurzer Zeit.


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Damit hatten Sie die offizielle technische Genehmigung, von den Autoren verfasste und zugleich als Reprovorlage gelieferte Texte drucken zu lassen.

 R. Thiele:   Auf Vermittlung des damaligen Teubner-Herstellungsleiters Rolf Riedel konnte nun der Kontakt zur Druckerei im sächsischen Leisnig hergestellt werden. Jetzt interessierte sich auch unser damaliger Verlagsdirektor Heinz Kratz für diese Angelegenheit, schließlich konnten daraus ja auch neue Exportmöglichkeiten erwachsen. Für mich ergab sich eine der seltenen Gelegenheiten, zusammen mit dem Verlagsdirektor und mit dessen Fahrer eine Dienstreise im verlagseigenen PKW zu unternehmen, in einem Moskwitsch, wenn ich mich richtig erinnere.

 

 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Für die Druckerei waren niedrige Druckauflagen, möglichst kurze Herstellzeiten und evtl. auch noch Manuskripte, die den technischen Vorgaben wohl kaum perfekt entsprechen würden, nicht unbedingt interessante Druckobjekte?

 R. Thiele:   Hier wirkte sich positiv aus, dass wir mit Heinz Kratz, wie das seinerzeit üblich war, zwar einen Parteibürokraten als Chef hatten, der aber als gelernter Schriftsetzer schnell zu seinen Berufskollegen in der Druckerei Kontakt und auch den richtigen Ton im Umgang fand. Anfängliche technische Bedenken konnten wir zerstreuen – immerhin lag Teubner die amtliche Genehmigung vom ASMW schriftlich vor. Der Buchhandel nahm die neue Buchform an, wünschte aber, dass die anfänglich weißen Einbände farbig würden, damit die Bücher nicht so schnell abgegriffen aussahen. Diesen Hinweis haben wir umgesetzt und ab 1978/79 die blaue Einbandfarbe gewählt.   


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Welche Autoren konnten Sie dann zu Beginn gewinnen?

 R. Thiele:   Die genaue Reihenfolge lässt sich wohl kaum mehr rekonstruieren. Wir starteten 1976 mit einem halben Dutzend Titel. Ich erinnere mich noch an erste, fruchtbare Gespräche mit Professor Frieder Kuhnert im damaligen Karl-Marx-Stadt, mit Professor Herbert Lugowski aus Potsdam. Schließlich kamen auch schon bald die ersten Texte von Professor Eberhard Zeidler aus Leipzig und von Professor Hans Triebel aus Jena, der bald ein wichtiger Berater und Herausgeber der Reihe wurde.


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):   Sie waren dann auch in Prag bei dem namhaften Mathematiker Professor Alois Kufner. Und dort sprachen Sie unter anderem mit Petr Vopenka …

 R. Thiele:   A. Kufner war der Chef der Mathematiker in der Akademie der Wissenschaften in Prag; P. Vopenka war ein sehr bedeutender Mann in der Mengenlehre. Wenig später besuchte ich dann auch Tamas Schmidt (Ungarische Akademie der Wissenschaften) in Budapest, was zu Veröffentlichungen ungarischer Mathematiker in den Teubner-Texten führte. Der erste ausländische Autor im Rahmen der „TEUBNER-TEXTE zur Mathematik“ war nach meiner Erinnerung G. Vainikko aus Tartu. Bereits 1978 erschien der erste Tagungsband - für die damalige Zeit lagen aktuelle Tagungsergebnisse damit sehr schnell in Buchform vor.
 
Band 50 enthält Vorträge der von B. G. Teubner im Oktober 1982 in Reinhardsbrunn veranstalteten internationalen Tagung „Recent Trends in Mathematics“.


 EDITION AM GUTENBERGPLATZ LEIPZIG (EAGLE):  
Herr Dr. Thiele, wir bedanken uns für dieses Gespräch mit dem unabhängigen Wissenschaftsverlag „Edition am Gutenbergplatz Leipzig / EAGLE“.

PS:
Von 1976 bis 2002 erschienen 140 Bände „TEUBNER-TEXTE zur Mathematik“.
 
Im Jahre 2000 ist B. G. Teubner in Stuttgart und Leipzig vom neuen Besitzer Bertelsmann (unter T. Middelhoff) komplett geschlossen und nach Wiesbaden verlegt worden. Schon 2002 / 2003 folgte der Weiterverkauf.
Im Jahre 2005 erschien bei Teubner in Wiesbaden noch der
141. Band „TEUBNER-TEXTE zur Mathematik“ ...